Es ist tatsächlich passiert. Der 13. Doktor ist eine Frau. Doktor wer? Oder natürlich auf Englisch: Doctor Who. Als die BBC bekannt gab, dass Jodie Whittekar die Hauptrolle der vielleicht ikonischsten TV-Serie der britischen Popkultur übernehmen würde, tat das Internet, was das Internet so tut und explodierte vor Empörung. Die meisten Tweets/Posts waren Variationen auf das Thema: Wahrscheinlich wird Krankenschwester Who anstelle des Sonic Schraubenziehers jetzt einen Sonic Tampon benutzen, wie soll man denn damit Aliens bekämpfen?
Dabei sind Beschwerden, es sei unlogisch, wenn ein, in einer Art Telefonzelle, zeitreisender Doktor durch das Weltall jagt, von einer Frau verkörpert würde, ähnlich anachronistisch wie Whittekars Aufforderung an die Fans, keine Angst vor ihrem Geschlecht zu haben.
Haben wir 1971? Damals sorgte Wibke Bruhns als erste Nachrichtensprecherin im Deutschen Fernsehen für Entsetzen, weil alle Angst hatte, die Nachrichten könnten nicht mehr ernst genommen werden, wenn sie von einer Frau gelesen würden. (Genau genommen war nicht Bruhns die erste deutsche Nachrichtensprecherin, sondern Anne-Rose Neumann 1963 und zwar mit deutlich geringerem Aufschrei, doch frauenpolitische Errungenschaften der DDR werden ja zumeist übersehen.)
Die Welt hat es überlebt und das Weltall wird das auch tun. Und wir werden uns weiterhin darüber aufregen, wenn sich Menschen nicht gemäß ihrer Geschlechterrolle verhalten.
Genderstudies sind die „Sargnägel des Feminismus“
Genau diese Fixierung auf Geschlechterrollen und welche Alternativen es dazu gibt untersuchen die Genderstudies, die deswegen traditionell von Anti-Feminist*innen unter Beschuss sind, nach dem Motto: „Space ist kein Platz für Political Correctness“, „Werden wir jetzt alle umerzogen?“ und Genderstudies sind „die Sargnägel des Feminismus“. Nur dass das letzte Beispiel aus den vermeintlich eigenen Reihen stammt, nämlich aus dem 16-seitigen Dossier der aktuellen EMMA zum Thema. Keine Sorge, dies ist keine Punkt für Punkt Kritik an der EMMA. Das haben klügere Menschen wie Paula Villa – The Sargnagel talks back - bereits brillant gemacht. Was mich bewegt ist vielmehr, was die, um mit Margarete Stokowski zu sprechen, „Gender-Allergie“ eigentlich auslöst. Denn die Abwehrreaktionen kommen ja nicht von irgendwoher. Hier geht es ans Eingemachte.
Genderstudies gegen die Natürlichkeit
Für Konservative besteht die Bedrohung darin, dass Gender als Analysekategorie der „natürlichen“ Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern die Grundlage entzieht. Besser bekannt als die „dann wird es keine Männer und Frauen mehr geben, sondern nur noch ein geschlechtsloses Gender“-Klage.
Die Ängste der anderen Seite gehen ebenfalls an die Wurzeln des politischen Selbstverständnisses. Für mich lassen sie sich grob in drei Fragen zusammenfassen:
Frauen als politisches Subjekt
Wie kann ich Feministin sein und die Benachteiligung von Frauen und das Patriarchat bekämpfen, wenn Geschlecht nur ein Konstrukt ist?
Und das ist wirklich ein Problem. Ich habe lange für das Frauenmagazin im WDR mit dem unglücklichen Namen „Abwasch“ gearbeitet. Irgendwann waren die 80er Jahre mehr als ein Jahrzehnt vorbei und es wurde in „Venus FM“ umbenannt und zu einem Gendermagazin - und kurz darauf abgeschafft. Weil viele dachten: Wenn es jetzt für Männer und Frauen ist, dann ist es ja genauso wie der Rest des Programms, wofür brauchen wir das dann noch? Das war keine Verschwörung des WDRs: nach dem Motto: Nenn es Gender, dann ist es nicht mehr politisch. Vielmehr lag es daran, dass es deutlich komplexer ist, darüber nachzudenken, was uns zu Männern und Frauen macht, als zu sagen: hier wird eine Frau benachteiligt und das ist nicht gerecht. Und das Besondere an der Analysekategorie Gender ist – für mich – dass sie nicht erst dann ansetzt, wenn es um Benachteiligung geht, sondern bereits bei der unterschiedlichen Wahrnehmung, die – und davon bin ich zutiefst überzeugt – die Voraussetzung für alle späteren Diskriminierungen ist. Ein Beispiel: Ich komme gerade vom Flughafen. Bei der Sicherheitskontrolle erklärte uns ein Informationsfilm, welche Gegenstände wir einzeln in die Plastikschüsseln legen sollten: Der animierte Mann holte ein Portemonnaie aus seiner Tasche und ein Handy und einen Laptop; Die animierte Frau hatte eine Flasche Shampoo und ein Kind.
Ja, ein Flughafenanimationsfilm ist kein Femizid, aber die Botschaften über Geschlecht sind so allgegenwärtig und häufig so trivial, dass sich die Genderstudies natürlich nicht nur, aber eben auch mit den banalen Dingen beschäftigen.
System der Macht
Aber wer ist dann der Feind?
Ich meine es nicht herablassend, wenn ich sage, ich kann die Frage vestehen. Ich kann sie wirklich verstehen und ich habe selbst jahrelang damit gerungen. Doch Männer werden nicht biologisch oder genetisch dazu getrieben, uns insgesamt nettere Menschen zu unterdrücken. Auch ist Testestoron nicht das agressive Hormon: Hormone haben keine Gefühle. Das einzige, was man zutreffend über alle Männer sagen kann, ist, dass sie verschieden sind. Männer unterdrücken nicht, weil sie Männer sind, sondern weil sie in einem hierarchischen System Positionen von Macht einnehmen. Das ist ein Unterschied. Und nicht selten sind inzwischen auch Frauen in Positionen von Macht und - hey presto! -wir können genauso große Arschlöcher sein.
Netzwerke der Macht
Warum ist es dann noch immer so, dass Männer andere Männer unterstützen und Frauen nicht ganz für voll nehmen?
Systeme erhalten sich in der Regel selbst. Wir müssen nur eine weitere Unterdrückungskategorie einführen, um zu merken, dass es nicht um Geschlecht, sondern um die Verteidigung des Status quo geht. Sobald beispielsweise Rassismus mit ins Spiel kommt, schrumpfen die Geschlechterunterschiede auf die Größe von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer.
Und wenn eine noch schwerer fassbare Kategorie dazu kommt, die die Sicherheit, mit der Geschlecht verteilt wird, selbst in Frage stellt, entdecken plötzlich Männer und Frauen, dass das nun wirklich zu viel des Guten ist. Dabei fängt das Gute hier erst an: Was ich von den Debatten um Trans* lerne, ist, dass ich genauso zu der Seite der Privilegierten gehören kann und keine Ahnung habe, wie die Lebensrealität von Trans*menschen aussieht. Das allein macht mich keineswegs zum Schwein und ausgedacht habe ich mir das System auch nicht, das zur Abwechslung einmal mich privilegiert. Aber, wenn ich so tue, als gäbe es dieses System nicht, dann stabilisiere ich es dadurch. Deshalb ist Menschen zuzuhören, die meine Vorstellungen von Geschlecht ins Wanken bringen, nicht nur ein Akt von basaler Höflichkeit ist, sondern es ist auch eine radikale Handlung, weil es das System in Frage stellt, das uns alle beschränkt.
Das Private ist politisch
Denn jedes Privileg kostet auch etwas, im Zweifel Menschlichkeit.
Viele meiner Studenten – und ich schreibe das bewusst ohne * – können die gesamte Gendertheorie herunterbeten, aber nicht sagen, wie sich Geschlecht auf ihr eigenes Leben auswirkt, so als hätten sie kein Geschlecht. Sind diese jungen Männer schlicht ignorant à la: Um Geschlecht kümmert sich meine Freundin? Natürlich nicht. Ihnen fehlen die 40/50 Jahre Frauenbewegung und –ja – auch Selbsterfahrung. Das Private ist politisch. Und zwar egal, ob du ein Cis-Mann, eine Cis-Frau, trans*, inter*, und/oder nicht-binär oder ein*e Timelord bist. Gender bedeutet nicht weniger Geschlechtlichkeit, sondern mehr – Gestaltungsmöglichkeiten.